Interview - Initiation in die Ekstase


Ein Interview mit Hiah Park, der koreanischen Mudang

von Nina Otis Haft


Hiah Park ist eine koreanische Mudang (Schamanin) und spezialisiert auf rituellen Tanz. Sie arbeitete als Hofmusikerin und – tänzerin in der klassischen koreanischen Tradition, erwarb einen Master-of- Arts Abschluss in Tanz und unterrichtete koreanischen Tanz und Ethnologie sowie Klang- und Bewegungsimprovisation an verschiedenen Universitäten.

Seit ihrer Initiation als Mudang im Jahre 1981 bringt Hiah Park den Menschen schamanischen Ritualtanz, Trancetanz und traditionellen koreanischen Tanz auf zahlreichen Reisen in den USA, Europa und Korea nahe. Sie hält auch Vorträge und Workshops über spirituelle Heilung und Ekstase-Techniken. Ihre internationale Arbeit hat erneutes Interesse an und Achtung vor den alten spirituellen Praktiken Koreas geweckt und ist gleichzeitig ein Katalysator für spirituelle Heilung und Transformation.


Mina Otis Haft: Viele Leser sind mit dem koreanischen Schamanismus wahrscheinlich nicht so vertraut. Könntest du uns etwas über seine Rolle in der traditionellen koreanischen Kultur sagen?


Hiah Park: Niemand weiss, wann genau der koreanische Schamanismus begann, aber es gibt Hinweise darauf, dass er bereits in der Jungsteinzeit praktiziert wurde. Schon lange gehörte er zum Leben der Einheimischen, bevor er dann in der Zeit der drei Königreiche (57 v.Ch. – 676 n.Ch) zur traditionellen Religion Koreas wurde. Später wandte sich die Aristokratie vom Schamanismus ab und „importierten“ Religionen zu: dem Konfuzianismus, Taoismus und Buddhismus. Doch die normale Bevölkerung blieb beim Schamanismus und praktiziert ihn bis zum heutigen Tag. Der heutzutage ausgeübte Schamanismus kennt mehrere regionale Formen. Nördlich von Seoul und dem Han-Fluss wird die Mudang (Schamanin) durch eine mystische Krankheit (Sinbyong) berufen und im Naerim Kut initiiert, einer Zeremonie, die sie von ihrem Leiden erlöst, indem der Gott, der von ihr Besitz genommen hat, in ihrem Körper wie in einem Schrein eingeschlossen wird. Dieses Naerim Kut ist südlich des Han-Flusses völlig unbekannt. Dort wird der Beruf des Schamanen an die Nachkommen vererbt. In Hwang-Hae Do, der nordwestlichen Provinz, aus der meine Patin Kim Keum-Hwam stammte, fungiert die Mudang als Vermittlerin zu den anderen Welten – sie treibt Teufel aus, heilt Kranke und verteidigt die spirituelle Integrität der Gemeinschaft. Die Mudang ist auch Seherin, Ritualspezialistin, mystische Poetin, Musikerin und Tänzerin – sie praktiziert Ekstasetechniken, um mit der göttlichen Welt zu kommunizieren.

 

Mina Otis Haft: Du bist in Korea geboren. Wie kommt es, dass du nun in den USA lebst?


Hiah Park: 1963 wurde ich als erste Frau am Korean National Classical Music Institute als Hofmusikerin und Tänzerin aufgenommen. 1966 erhielt ich eine Einladung, am Asian Academic Institute of Northwestern Nazeren College in Idaho, USA, meine Kunst darzubieten und klassische koreanische Musik und Tanz zu unterrichten. An der University of California in San Diego unterrichtete ich an der Abteilung für Tanz. Dies ermöglichte mir, mit meinen Studenten an Klang- und Bewegungsimprovisation zu arbeiten.

 

Mina Otis Haft: Wurdest du bereits als Kind zur Mudang ausgebildet?

 

Hiah Park: Eigentlich genoss ich in Korea eine christliche Erziehung. Erst lange nachdem ich in die USA gezogen war, wurde ich als Mudang initiiert. Meine erste Erfahrung mit dem Schamanismus machte ich allerdings in früher Kindheit. Ein Nachbar von uns litt mehrere Tage lang an nicht enden wollendem Schluckauf. Ich weiss noch, dass schließlich eine Mudang zu ihm kam und ihr Schwert um seinen Kopf kreisen ließ, während sie chantete, sang und tanzte. Damals wusste ich nicht, was eine Mudang war, aber ich war von dem, was ich da sah, völlig gefangengenommen. Ich fand es aufgrund meiner ausgeprägten christlichen Erziehung schwierig, mit irgendjemandem über dieses Erlebnis zu sprechen. Schamanismus und übernatürliche Aktivitäten wurden als Aberglaube angesehen. Also bewahrte ich dieses Erlebnis als separate Realität tief in meinem Herzen.


Hiah Park in traditionellem koreanischen Mudang-Kostüm im Tanz

 

Während ihrer Initiation als Mudang erlebt Hiah Park eine ekstatische Trancereise in die Milchstraße

 

Ein ritueller Tanz von Tod und Transformation

 

 

Der Flyer, der Hiah Parks Workshop über koreanischen Ritualtanz und ekstatische Bewegung ankündigte, zeigte sie in einem traditonellen koreanischen Kostüm mit einem zeitlosen, durchdringenden Blick. Sie ist eine jugendliche Frau von fünfzig, eine international bekannte Tänzerin, Filmschauspielerin, Mutter zweier Töchter, Kampfkünstlerin und reisende Schamanin. Für mich als Tänzerin und Kampfkünstlerin war und ist Bewegung seit jeher meine Schnittstelle zur Spiritualität. Aus diesem Grund, und weil mich die Vorstellung fesselte, Ekstase erleben zu können, beschloss ich, einen von Hiahs Workshops in Berkeley in Kalifornien zu besuchen.

Die Gruppe, die sich für den Workshop zusammengefunden hatte, war größer als Hiah es erwartet hatte. Nachdem wir uns in einen Kreis gesetzt hatten, dauerte es eine ganze Weile, bis wir uns vorgestellt und erzählt hatten, was uns hierhin gebracht hatte. Hiah führte mit uns allen einen Dialog – hinterfragte, forderte heraus, reflektierte und spielte mit uns – es schien, als wollte sie sondieren, womit wir im tiefsten Grund eigentlich in Berührung kommen wollten. Immer wieder erinnerte sie uns daran, dass wir uns dessen bewusst sein mussten, warum wir gekommen waren. Wenn wir das nicht seien, wäre es besser, wir holten uns unser Geld zurück und gingen. Dieser Prozess zu Beginn, so sollte sich herausstellen, war die Grundlage für unsere gemeinsame Ritualarbeit in spielerischer Form.

 

Dann legte Hiah ihre traditionellen schamanischen Kleider an – eine leichte und voluminöse Seidenrobe in den Regenbogenfarben, einen breiten goldenen Gürtel und spitzförmig zulaufende weiße Pantoffeln. Sie lud uns ein, mit ihr zusammen die Wesen der spirituellen Welt herbeizurufen. Mit Glocken und einem Fächer leitete sie unseren Tanz an, zu dem wir chanteten und die Musik machten. Danach forderte sie uns einzeln auf, einen rituellen Todestanz mit ihr zu tanzen. Sie hielt uns jeweils einen Handvoll bunter Seidenflaggen hin, woraus wir eine wählen sollten. Passend zum gewählten Fähnchen legte diese Person dann eine Robe an, und Hi-ah schnitt den Tanz auf seine bzw. ihre Bedürfnisse zu.

Sie begann damit, dass ihr Blick die Augen ihres Gegenübers in einer zeitlosen Umarmung festhielten. Dann wurde sie, mit dem hölzernen Schwert in der Hand, zur Kriegerin, Jägerin, Liebenden, zum Spiegel der tiefsten Angst dieses Menschen. In langsamer, höchst konzentrierter Intensität schraubte sie die Energie der Konfrontation immer höher und tanzte so mit ihrem Gegenüber, bis er/sie sich voll und ganz hingab. Schließlich dann wiegte sie den anderen in einer liebevollen und wahrhaftigen Umarmung einer spirituellen Patin in ein neugeborenes Dasein hinein, das frei von Angst war.

 

 

Da ich die Schwierigkeiten der einzelnen aus dem Gesprächskreis zu Beginn kannte, konnte ich an jeder der Transformationen teilhaben und wurde Zeugin davon, wie Ängste berührt und schließlich in einem Freudenfest entlassen und aufgelöst wurden. Unser gemeinsamer Tag endete mit einem Gruppentanz in spielerischer, freier Bewegung, mit Chanten und Trommeln.

 

Hiah Park: Erst im Laufe meines Aufbaustudiums an der Fakultät für Tanz an der UCLA (University of California in Los Angeles) begann ich 1975, dieses Kindheitserlebnis zu integrieren. Eines Tages bat uns Allegra Snyder (Vorsitzende der Abteilung für Tanzethnologie), uns an die aussergewöhnlichste Erfahrung unseres bisherigen Lebens zu erinnern und sie dann zu beschreiben. Als ich in einem meditativen Prozess die Augen schloss, trat ich in einen veränderten Bewusstseinszustand ein. Mein Körper begann unkontrollierbar zu zittern – aber nicht aus Nervosität, sondern so, als würde mich jemand schütteln. Als ich dann davon erzählte, wie ich damals die Mudang gesehen hatte, hatte ich das Gefühl, als spräche jemand anders durch mich.

Später hatte ich eine ähnliche körperliche Empfindung, als ich den Film „Pomo Indian Sucking Doctor“ sah (ein Film über einen Medizinmann der Pomo-Indianer, der durch Aussaugen der Krankheit Patienten heilte). Mir war sofort klar, dass die Heilungszeremonie dieses Pomo-Indianers dem Tanzen und Chanten verwandt war, das ich als Kind beobachtet hatte. Nach diesen Ereignissen begann ich, dieses körperliche Zittern und innere Vibrieren häufig zu spüren, und es machte mir Angst. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht gedacht, dass es wichtig sein könnte, über mein Kindheitserlebnis zu sprechen, aber nun wurde mir klar, dass es notwendig war, wenn ich mich selbst verstehen wollte. Ich begann, mich selbst mehr und mehr zu erforschen – wer ich war, woher ich kam, wie ich hierhergekommen war und wohin ich ging.

 

Mina Otis Haft: Das klingt, als hättest du ein spirituelles Erwachen erlebt. Hast du deshalb beschlossen, Mudang zu werden?

 

Hiah Park: Nicht ich habe beschlossen, Mudang zu werden; vielmehr beschloss ES, mich zur Mudang zu machen. Als ich 1975 begann, mich mit dem Schamanismus auseinanderzusetzen, hatte ich weder den Wunsch noch die Absicht, Schamanin zu werden. Ich betrachtete den ganzen Prozess anfangs als rein künstlerisches Unterfangen. Und doch schien alles, dem ich auf diesem schamanischen Weg begegnete, einen Durst in mir zu wecken nach spiritueller Erfüllung.

 

Ich wurde durch Sinbyong, also eine Initiationskrankheit, zur Mudang berufen. Eigentlich durchlief ich sogar mehrere Perioden dieser schamanischen Krankheit, weil ich nicht gleich verstand, was da mit mir passierte. Meine erste Sinbyong kam wie ein Angriff über mich, als ich 19 war, nachdem ich meine erste Liebesbeziehung beendet hatte. Es bildete sich ein großer Tumor an meinem Steissbein, ich verlor meine Stimme und konnte mich drei Monate lang nicht mehr bewegen. Nach einer Weile dann verschwand der Tumor auf mysteriöse Art und Weise. Die zweite Sinbyon trat auf, als ich 33 Jahre alt war. Ich begann, an Gefühlen des Überdrusses und der Einsamkeit zu leiden, empfand mein Leben als sinnlos. Mein Interesse an weltlichen Dingen und häuslichen Pflichten schwand völlig. Ich litt unter unerträglicher Einsamkeit und sehnte mich nach den Bergen.

Viele Nächte hindurch weinte ich oder träumte von meinem bevorstehenden Tod. In meinen Träumen war ich in der Unterwelt gefangen und wurde von wilden Tieren verfolgt. Etwa neun Monate lang ertrug ich diese schlaf- und ruhelosen Nächte, bis ich einen unglaublichen und sehr langen Traum von einer uralten königlichen Beerdigungsprozession hatte.

 

Direkt nach diesem mysteriösen Traum hörte meine Schlaflosigkeit auf. Ich war ohne bestimmten Grund einfach glücklich. Ich fühlte mich, als schwebte ich, als würde mich jemand in die Luft emporheben. Nach diesem Traum von der Beerdigung begannen meine Träume einen leichteren, himmlischeren Charakter anzunehmen. In einer Traumreise, die mir unvergessen geblieben ist, führte mich ein weißes Einhorn mit Flügeln durch die Milchstraße hindurch zu einem unglaublichen, tief indigo-farbenen, unendlichen Raum. An diesem Ort vernahm ich eine tiefe, ausdrucksstarke Stimme, die mich fragte: „Wie geht es den Menschen da unten?“. Ich erinnere mich noch sehr genau an das Gespräch mit dieser unsichtbaren Stimme, und an das ekstatische Gefühl, das mich ergriffen hatte. Dann sagte mir die Stimme, ich solle zurückgehen, um die Menschen Liebe zu lehren. Ich empfand grenzenlose Freude und gleichzeitig eine große Trauer darüber, dass ich zurückmusste. Ohne das Gefühl zu haben, aus einem Traum aufzuwachen, fand ich mich in meinem Bett wieder. Eine Zeitlang war ich wie besessen von diesem Traum und fühlte mich mit dieser anderen Realität sehr verbunden. Ich verstand es zwar nicht, aber dieser andere Raum war so deutlich und klar gewesen, dass ich nun das Gefühl hatte, als wäre mein Wachzustand der Traum.


Frauen, die Mudang werden, stellen eine Herausforderung für die traditionellen konfuzianischen Werte Koreas dar.

 

Mina Otis Haft: Könntest du den Unterschied zwischen deinen Initiationskrankheiten und einer „normalen“ Krankheit erklären? Was du beschreibst, klingt wie das Leiden vieler Frauen, die in ihrer stereotypen Frauenrolle gefangen sind.

 

Hiah Park: Da gab es durchaus Ähnlichkeiten. In Korea mit seiner repressiven konfuzianischen Gesellschaft leiden die Frauen sehr. Sie sind äußerst reif dafür, eine neue Rolle zu entdecken, und die Rolle der Schamanin bricht mit allen traditionellen Regeln und Stereotypen. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass die Schamanin die erste wirklich freie Frau war. Ich glaube, zu Sinbyong kommt es, wenn der spirituelle Körper eines Menschen quasi am Verhungern ist, weil Inspiration und Kreativität fehlen. Die schamanische Krankheit ermöglicht es der Frau, aus der Welt zu flüchten und sich in die Dunkelheit zurückzuziehen, um ihr eigenes Übergangsritual zu erleben. Um Schamanin zu werden, braucht es jahrelanger Innenschau, persönlicher Qualen und zunehmender spiritueller Entwicklung.

 

Mina Otis Haft: Haben die Frauen in der koreanischen Gesellschaft immer schon die Rolle der Mudang angenommen?


Hiah Park: Im modernen Korea sind fast alle Schamanen weiblich. Vor langer Zeit gab es sowohl männliche als auch weibliche Mudang, aber im Laufe der Jahrhunderte sind die männlichen Schamanen selten geworden. Manche Menschen meinen, dass der Grund für diese Veränderung darin liegt, dass Frauen größeres Geschick darin besitzen, auf die Götter einzuwirken.

 

Mina Otis Haft: Inwiefern sind Frauen für die schamanische Arbeit besser geeignet?

 

Hiah Park: Es ist nicht das Geschlecht, das eine Frau darin überlegen macht, sondern vielmehr ihr Zugang zu den weiblichen Prinzipien der Spiritualität, durch den sie als Brücke zwischen dieser Welt und den verschiedenen Zuständen der Glückseligkeit fungiert. In der traditionellen koreanischen Gesellschaft waren die Frauen nicht so gebildet wie die Männer, wodurch sie ihrer intuitiven und übersinnlichen Kräfte nicht so stark entfremdete wurden, weil sie nicht jahrelang über-intellektualisiert wurden. Ich musste erst zwanzig Jahre Bildung wieder verlernen, um für die Initiation reif zu sein.

 

Mina Otis Haft: Während deiner letzten Krankheit lebtest du ja in Südkalifornien, aber zur Mudang initiiert wurdest du in Korea. Wie kam es dazu?

 

Hiah Park: Als ich in Südkalifornien lebte, wurde ich als Tänzerin mehrmals von der koreanischen Gemeinde gebeten, schamanische Riten durchzuführen, obwohl ich noch keine Schamanin war. Meine erste rituelle Darbietung fand im Juni 1980 im Mingei International Folk Art Museum in La Jolla in Kalifornien statt. Ich war überrascht, als Herr Zozayoung, Leiter des Emile Folk Painting Museums (Museum der Volksmalerei) in Korea mich mit großer Hochachtung als Mudang vorstellte, zumal den Mudang in Korea ja Geringschätzung entgegengebracht wird. Ich war etwas besorgt, weil ich nicht genau wusste, wie ich das Ritual durchführen sollte, aber als die Zeit für die tatsächliche Aufführung gekommen war, war mir irgendwie völlig klar, was ich zu tun hatte.

 

Im Laufe des darauffolgenden Jahres führte ich zwei weitere sogenannte „Kut“ in Kalifornien durch. Beide Male ergriffen die Wesen der spirituellen Welt auf äußerst starke Art und Weise von mir Besitz und leiteten mich in der Durchführung der Rituale an, deren Bedeutung ich erst später kennenlernen sollte. Nach diesen Zeremonien erahnte ich tief in mir, dass ich diese Geistwesen in mir nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. Jedesmal, wenn ich von der Aufführung nach Hause zurückkehrte, spürte ich einen drückenden Schmerz in meinen Schultern und meinem Becken. Auf meiner Brust lastete ein großes Gewicht, und ich hatte das Gefühl, als würde jemand oder etwas meinen Körper fesseln. Dann wurde ich völlig unfähig, mich zu bewegen, und konnte nicht mal mehr die einfachsten Arbeiten im Haus erledigen. Ich war zwei Monate lang krank, und ich wusste, ich musste mir Hilfe holen. Da ich davor ja bereits zwei ähnliche Krankheitsphasen erlebt hatte, wusste ich intuitiv, dass es etwas war, was ein „normaler“ Arzt nicht würde behandeln können. Die Klarheit, Freiheit und das erhöhte Gewahrsein, das ich während der Rituale jeweils erlebte, standen in krassem Konflikt zu den Rationalisierungen, der Wut und Angst, und den defensiven Gefühlen, die mich in meinem normalen Wachbewusstsein plagten. Der Konflikt hatte ein psychosomatisches Leiden hervorgebracht.


Hiah Park und ihre Patin Kim Keum-Hwa, bei Hiah Parks Initiationszeremonie

 

Während dieser Erkrankung hatte ich drei aufeinanderfolgende Visionen. In meiner zweiten Vision sah ich Tan-Kun, den heldenhaften Begründer der koreanischen Nation, in Meditationshaltung in einer Yurte sitzen, mit einem roten Hut und roter Robe. Als ich diese Figur intensiv anschaute, ohne meinen Blick zu wenden, verschmolzen wir ineinander; und dann sah ich mich selbst als Tan-Kun da sitzen. Diese deutliche Vision von Tan-Kun überzeugte mich davon, dass ich nach 15jähriger Abwesenheit meinem Heimatland einen Besuch abstatten sollte.

 

Ich hatte keine konkreten Pläne für meinen Besuch. Doch von Anfang an, so stellte sich heraus, hatten alle Menschen, denen ich begegnete, und alle Orte, die ich besuchte, irgendetwas mit schamanischen Praktiken zu tun. Es dauerte keine Woche, und ich wurde von einem Freund, Professor Choi Jong-Min, Kim Keum-Hwa, einer bekannten Hwanghaedo-Manshin vorgestellt (einer Schamanin aus einer westlichen Provinz).

 

Als Kim den Raum betrat, in dem ich in ihrem Haus wartete, lief es uns beiden kalt den Rücken hinunter. Sie sagte mir, sie habe das Gefühl, dass ihre Geistwesen mit mir sprechen wollten. Sie brachte ihren Orakeltisch und begann Botschaften auszusprechen: „Regenbogen umgeben dich in allen Richtungen. Die Frucht ist ganz reif und kann nicht mehr länger warten!“ Sie sagte mir, dass ich Glück gehabt hatte, dass ich den Befehlen der Wesen aus der spirituellen Welt gehorcht hatte und zu ihr gekommen war. Ansonsten, sagte sie, wäre ich gestorben, wie eine überreife Frucht, die zu Boden fällt und verrottet.

 

Mein Körper begann unkontrollierbar im Kreis zu schwingen. Mir liefen die Tränen die Wangen hinunter, und ich versuchte mit beiden Händen meine Knie still zu halten, aber es gelang mir nicht, die Bewegung zu stoppen. Kim erklärte mir, dass ich die beiden Male zuvor nicht gehorcht hatte und infolgedessen unerträglichen Schmerz, Einsamkeit und Nahtoderlebnisse durchmachen hatte müssen. Sie warnte mich davor, mich nochmals zu widersetzen – beim dritten Mal gäbe es keine Vergebung mehr. Es sei absolut unabdingbar, dass ich mich ohne weiteres Zögern dem Naerim Kut unterzöge. Doch sie hatte auch positive Nachrichten für mich. Sie sagte mir, sie sähe einen doppelten Regenbogen über meinem Kopf, himmlische Götter, die mich umgaben und in den vier Richtungen schützten, und Krieger-Geistwesen, die auf mich herniederkamen. Sie sagte, die Kriegerin in mir sei so stark, dass ich im Rahmen meiner Initiation auf dem Chaktu (scharfe Klingen) würde stehen wollen. Sie sagte voraus, dass ich in naher Zukunft eine berühmte Schamanin sein und um die Welt reisen würde. Dann setzte sie ein Datum für die Initiation fest – den 23. Juni 1981. In weniger als zwei Wochen sollte sich meine Transformation zur Schamanin vollziehen.

 

Mina Otis Haft: Gab es irgendwelche weiteren Vorbereitungen oder irgendeine Ausbildung vor der Initiationszeremonie?

 

Hiah Park: Mein Patin Kim Keum-Hwa bat mich, in der Woche vor der Zeremonie kein Fleisch zu essen. Genau so wie in den vorhergegangenen Ritualen in den Vereinigten Staaten wusste ich auch hier nicht, was passieren würde – aber ich war fest entschlossen, herauszufinden, welche Kraft mich hierhin geführt hatte und worin Sinn und Zweck meines Lebens bestanden.

 

Mina Otis Haft: Was geschah in der Zeremonie?

 

Hiah Park: Am Morgen nahm ich ein Bad in einem kalten Bergbach und bestieg dann mit meiner Patin den Mt. Samgak (nördlich von Seoul). Irgendwann forderte sie mich auf, einen steilen Felsen hinaufzuklettern, um einen Zweig von einem Nadelbaum zu holen. Diese Aufgabe war die erste Prüfung des Tages. Ich tat, wie mir geheißen, und erhielt Sanshin (den Berg-Geist bzw. das spirituelle Wesen des Berges). Wir sprachen so wenig wie möglich. Am Bergaltar bot ich Reis, Reiskuchen, drei verschiedene gekochte Gemüse, Obst, Kerzen, Räucherwerk und Mak-gholi (hausgemachten Reiswein) dar. Während meine Patin chantete und einen kleinen Gong dazu schlug, hielt ich das Sanshin Dari hoch, ein langes Stück weissen Baumwolltuchs, durch das die Schamanin die Geistwesen des Berges in Empfang nimmt. Das Tuch wird auch als Minyong bezeichnet, was „weisse Baumwollbrücke“ bedeutet.

Mein Körper begann unkontrolliert zu zittern – ein Zeichen dafür, dass das Geistweisen, das Wesen aus der spirituellen Welt in mir Einzug hielt. Ich gab mich ihm vorbehaltlos hin, schaltete meinen inneren Dialog ab und trat in die innere Stille. Ich spürte, dass aus allen Richtungen Licht herbeiströmte, und ich begann, eine Art Trunkenheit durch die Präsenz des Geistwesens in mir zu spüren. Es war die dramatische, unmittelbare und so lange ersehnte Begegnung mit dem „Geliebten“, von dem ich getrennt gewesen war. Ich fühlte, wie vollständig und ganz mein Ur-Selbst vor dieser Trennung gewesen war. Ich wusste, dass das Geistwesen mich liebte und mir vergab, dass ich mich so lange geweigert hatte, es anzunehmen. Ich wurde gebadet im Licht der Wesen aus der spirituellen Welt und fühlte mich sauber und neugeboren. So flog ich praktisch den Berg hinunter. Unten am Fuße des Berges erwartete uns bereits eine Gruppe von Schamanen und Gästen im Haus meiner Patin. Ich war die einzige Initiandin. Wir begannen mit einer kurzen Zeremonie der Anrufung und Begrüßung der Wesen der spirituellen Welt, worauf ein Buhtun Kut (Reinigungsritual) folgte. Es dient dazu, die Initiandin zu reinigen und in die Demut zu versetzen, um das infantile Bild ihrer persönlichen Vergangenheit aufzulösen und sie auf die Transformation vorzubereiten, die sie zu einem grenzenlos machtvollen reinen Spirit machen würde. Das Ritual begann mit Trommeln und Chanten, während die Assistenten der Schamanin mir einen Korb mit gekochter Hirse auf den Kopf stellten. Dann tanzte ich kreisförmig in jede Richtung. Der Tanz endet damit, dass man den Korb so oft werfen muss, bis er aufrecht landet. Das war anfangs nicht einfach. Es war sehr heiss, und ich trug die koreanische Tracht. Ausserdem war es mir ein bisschen peinlich, dass mir alle zusahen. Doch der Korb muss aufrecht landen – das ist das Zeichen, dass die bösen Geistwesen abgewehrt worden waren. Wieder und wieder landete der Korb falsch, bis ich dann schließlich die Peinlichkeit nicht länger ertragen konnte. Plötzlich geschah etwas Magisches – alle Zuschauer verschwanden aus meinem Blick, ich fühlte einen Punkt wahrhaftigen Feuers in meiner Mitte, und ich erreichte eine völlige Ruhe. Endlich landete der Korb richtig rum.

 

Die Initiationszeremonie ging weiter mit einer Prüfung meiner aussersinnlichen Fähigkeiten. Ich sollte die Gottheiten identifizieren, die auf mich herabgekommen waren. Nachdem ich alle Geistweisen (Sonne, Mond, Sterne, Berg-Geister, Hochadel, Ahnen, etc) im Tanz offenbart hatte, der von Trommeln begleitet wurde, stellte mich meine Patin ein letztes Mal auf die Probe. Sie fragte mich: „Wo sind Deine Glocken und Dein Fächer?“ Als ich zögerte, machte sie sich über mich lustig, weil ich versuchte, eine logische Antwort zu finden. Sie sagte, dass „eine zu lange Zeit an der Universität“ mein nicht-rationales, intuitives und all-wissendes Selbst verschleiere. Ich begab mich dann in eine ekstatische tiefe Trance und fand die Glocken und den Fächer in ihrem Versteck unter dem Rock der Trommlerin.

 

Als nächstes wurden sieben Messingschüsseln mit identischen Deckeln auf einen Tisch gestellt. Meine Prüfung bestand darin, die Deckel in der richtigen Reihenfolge abzunehmen. Wieder tanzte ich zu den Trommeln und begann, die Deckel zu berühren. Meine Hände folgten der Energie. Unter dem ersten Deckel, den ich abnahm, fand ich sauberes Wasser – das Symbol für klares Bewusstsein und göttliche Reinheit. Und es sollte auch als erstes aufgedeckt werden. Danach tanzte ich mit diesem Deckel und öffnete dann den Rest der Schüsseln in folgender Reihenfolge: Reis, Asche, weiße Bohnen, Stroh, Geld und schmutziges Wasser. Meine Patin erläuterte die jeweilige Bedeutung. Der Reis steht dafür, den Menschen dabei zu helfen, zu leben. Asche steht für Berühmtheit. Bohnen und Stroh dienen in der schamanischen Reise den Pferden als Futter und sind ein gutes Omen für das erfolgreiche Wachstum der neuen Schamanin. Indem ich das saubere Wasser als erstes und das schmutzige als letztes gewählt hatte, hatte ich die Reinheit meines Bewusstseins bewiesen und die Prüfung bestanden. Ich verneigte mich vor meiner Patin und ihrer Assistentin. Dann setzte ich mich vor meine Patin, die meine Zöpfe öffnete und neu flocht – als Symbol meiner Wiedergeburt als neue Schamanin.

 

An diesem Tag folgten noch viele weitere Rituale, aber ich will hier nur mehr auf das Chaktu Kori (Ritual der scharfen Klingen) eingehen – die allerletzte Prüfung und das Highlight des Kut. Während der Zeremonie vor dem Chaktu konnte ich meine Wirbelsäule kaum mehr aufrecht halten, und ich fühlte, wie mir die Energie auslief. Mein Wille löste sich auf, die letzte innere Barriere gegen meinen Kriegerinnen-Spirit verschwand so. Meine Patin wusste genau, was mit mir los war. Also begann sie, den anderen Teilnehmern ihre eigenen Kleider überzuziehen, um sie zum Tanzen zu bringen. Ich konnte zwar das Lachen der tanzenden Menschen hören, aber ich fühlte mich, als würde ich ihnen aus einem Traum heraus zusehen. Irgendwie schaffte ich es, meinen Körper zum Altar zu schleppen, wo die Tangwha (schamanische Ikonografien) hingen. Als ich da saß, sah ich, wie die gemalten Bilder der Gottheiten verschwanden und als reale lebende Wesen wieder auftauchten. Ich sah den Berg-Geist vor mir stehen. Er lächelte. Obwohl er stumm blieb, konnte ich seine Stimme hören, die zu mir sprach. Er berührte mich an der Schulter, als wäre ich ein kleines Kind. Ich empfand eine tiefe Zuneigung und hätte für immer als seine Dienerin an diesem Ort verweilen können, doch er gab mir das Gefühl, dass ich etwas zu vollbringen hatte, wovon ich noch nichts wusste.

 

Dann kamen plötzlich all die Spirit-Krieger, die auf den Ikonografien dargestellt waren, in meinen Körper. Ich hatte das Gefühl, ich war gerade in ein anderes Wesen transformiert worden. Ich fühlte mich immer noch wie im Traum, aber ich konnte die Geräusche draußen hören, als die Menschen den Chaktu-Turm vorbereiteten.

 

Ich wusste, dass man nun bald von mir erwarten würde, oben auf dem Chaktu-Turm zu tanzen. Diese Struktur bestand aus 7 Etagen: Trommeln, Tischen, Krügen und Töpfen, mit jeweils Holzbrettern dazwischen – und einem Paar scharfer Schwerter ganz oben. Der fertige Turm war etwa sieben Fuß (etwas über zwei Meter) hoch. Meine Patin zog mich neben sich – sie begann eine Invokation zu singen und überreichte mir dann zwei Schwerter. Ich nahm sie und begann zu tanzen. Mithilfe der Schwerter als Transformationswerkzeuge war ich in der Lage, mich energetisch wieder aufzuladen. Ich trat in Kontakt mit der Angst vor dem Tod, die tief in mir schlummerte, integrierte diese Emotion, und gestattete es mir, zu sterben – und dann wurde ich mit dem Geist der Kriegerin wiedergeboren.

Nachdem ich eine Weile den Schwerttanz getanzt hatte, sammelte ich genügend Energie, um in die Küche zu gehen, wo die beiden großen Chaktu – Beile auf mich warteten – in rote Tücher gewickelt. Sobald ich die Chaktu ausgewickelt hatte, spürte ich eine unbekannte Präsenz in mir, die weder Angst noch Grenzen kannte. So begann ich, die schweren, scharfen Beile zu schwingen – sie trafen meine Arme, Beine, mein Gesicht und meinen Mund.

 

Obwohl diese Hackbeile Holz ganz mühelos spalten, fügten sie mir keinen Schaden zu. Die Zuschauer waren in Furch erstarrt und brachten kein Wort mehr heraus. Nachdem ich bewiesen hatte, dass nichts mir Schaden zufügen konnte, tanzte ich den kraftvollsten Tanz meines Lebens. Am Höhepunkt des Tanzes schien ich nach oben zu fliegen, wo ich barfuß auf den Beilen tanzte. Später sagten mir die Leute, dass meine Augen nichts Menschliches mehr erkennen ließen – sie hatten den Glanz von Tigeraugen. Als ich barfuß auf den scharfen Klingen stand, erlangte ich die absolute Freiheit in Zeit und Raum. Die Intensität war für manche der Zuschauer so unerträglich, dass sie zu weinen begannen. Als ich zurückkam, lösten wir zusammen die Spannung in Ekstase und Tränen auf.


Hiah Park begrüßt die Wesen aus der spirituellen Welt am Mt. Samgak, während ihre Patin Invokationen rezitiert.

 

Mina Otis Haft: Deine Initiation zur Mudang klingt sehr komplex und traditionell. Müssen deine Schüler und Studenten der alten koreanischen Religion angehören, wenn sie mit dir arbeiten wollen?

 

Hiah Park: Nein. Obwohl ich als Mudang initiiert wurde und eine große Achtung vor der Tradition habe, betrachte ich mich viel eher als spirituelle Hebamme und als globale Schamanin. Ich bin der Überzeugung, dass wir heutzutage über den Tellerrand der organisierten Religionen und der Fesseln kulturell vorgeschriebener spiritueller Praktiken hinausblicken müssen. Die traditionellen Religionen versuchen, unsere religiösen Erfahrungen zu definieren und zu lenken. Im Gegensatz dazu besteht die Essenz des Schamanismus darin, das Unbestimmte zugänglich zu machen und Sphären zu erforschen, die über sprachlich zu Fassendes und gesellschaftliche Organisation hinausgehen.

 

Mina Otis Haft: Könntest du uns ein Beispiel für deine Funktion als spirituelle Hebamme geben?

 

Hiah Park: Letzten Frühling lud mich die Women’s Alliance („Frauenbündnis“) zum Sonnwendcamp der Frauen in der Francisco Bay Area ein, wo ich eine rituelle Zeremonie durchführte. Bevor ich begann, wählte ich sieben Teilnehmerinnen aus und fragte sie, was sie in der Zeremonie erreichen wollten. Eine sagte, sie wolle ihren Brustkrebs heilen. Während der Zeremonie ergriff der Kriegerinnen-Geist Besitz von mir. Ich trat in die Mitte der Zuschauerinnen, fasste diese Frau an den Händen, zog sie nach vorne und tanzte dann auf ihrem Brustkorb, bis sie sich ganz und gar der spirituellen Ebene hingab.

Eine Woche später kam diese Frau zu einem Workshop, den ich in der Nähe gab. Sie erzählte, dass sie sich nach dem Erlebnis im Frauencamp im Krankenhaus untersuchen ließ. Drei Ärzte widmeten sich ihr, aber keiner konnte mehr eine Spur von Krebs entdecken. Diese Frau war reif dafür gewesen, sich zu öffnen und zu transformieren; deshalb war meine „spirituelle Operation“ wirksam. Sie funktioniert nur für jene, die bereit sind, sich mit ihrer dunklen Seite zu konfrontieren und sich dem ursprünglichen Spirit hinzugeben. Wenn ich „spirituelle Chirurgie“ sage, dann meine ich damit nicht, dass ich den anderen aufschneide – in meiner Chirurgie geht es darum, die Angst zu durchschneiden, und die unsichtbaren Tränen im Gewebe von Körper, Geist und Seele (oder: Spirit) zusammenzunähen.

 

Mina Otis Haft: Deine schamanische Arbeit scheint die Struktur des traditionellen Kut mit einzubeziehen, aber doch weit darüber hinauszugehen.

 

Hiah Park: Ja, das kann man so sagen. Im Juni 1988 war ich zu einem internationalen Symposium nach München eingeladen, das den Titel „Kunst und Unsichtbare Wirklichkeit“ trug. Ich sollte da eine rituelle Tanzaufführung geben. Direkt vor dem Beginn des Ritualtanzes bekam ich plötzlich einen unerklärlichen Krampf in den Beinen, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Ich konnte nicht mal mehr stehen. Alle waren enttäuscht. Der Zeremonienmeister, Johannes Heimrath, fragte mich: „Könntest du vielleicht wenigstens 5 Minuten lang tanzen?“ Ich antwortete: „Ja.“, ohne über das „Wie“ auch nur eine Sekunde nachzudenken. Ich gab den Anspruch auf, einen rituellen Tanz mit allem Drum und Dran zu machen, und erlaubte stattdessen der spirituellen Welt, mich gemäß der Bedürfnisse der Teilnehmer zu bewegen. Für die Deutschen, die sich ja so sehr an Zeit orientieren, bedeutete das, dass ich der Entschleunigung diente. Ich tanzte in schlangenhaften, langsamen Bewegungen, als würde ich von einer unsichtbaren Kraft emporgehoben. Der Tanz vibrierte vor dynamischem Feuer, rief Pathos hervor, die spiralisierende Energie. Er war eine zeitlose Brücke zwischen Leben und Tod. Je mehr ich diesen ursprünglichen Zustand anzapfe, das entdecke ich, desto weniger starr folge ich der traditionell festgelegten Form. Sogar bevor ich Mudang wurde, wurde mir schon klar, dass Musik, Tanz und Schauspiel nicht nur der ästhetischen Schönheit dienen, sondern auch dem Bereich der spirituellen Verwirklichung, die zu Ekstase führt. Daher liegt der Schwerpunkt in meinem Unterricht auf der Verbindung von Atem, Klang und Bewegung in ihrer Beziehung zum menschlichen Verhalten und dem transformativen Potential dieser ganz natürlichen menschlichen Aktivitäten.


Hiah Park integriert modernen Tanz und schamanische Seins-Zustände in ihren Trance-Darbietungen

 

Mina Otis Haft: Es klingt, als sei die Ekstase in deiner Arbeit sehr wichtig. Kannst du Ekstase genauer erklären?

 

Hiah Park: Ekstase wohnt unserem Herzen inne. Sie bedeutet, mit dem Herzen zu sehen und zu hören, anstatt nur mit unseren Augen und Ohren. Die Ekstase ist auch eine Flamme, die im Herzen aus dem Sehnen heraus entsteht, die Wahrheit (Gott) zu schauen und eins mit ihr zu werden. Der Zweck meiner Arbeit besteht darin, diese Erfahrung mit anderen zu teilen. Der Tanz schafft eine Freude, die aus dem Inneren nach draußen fließt, ein tiefes Gefühl von Schönheit, einen Zustand ekstatischer Heiterkeit. Wenn Tanz zur Meditation wird, erblüht er in die Liebe hinein, und dieses Erblühen ist eine Bewegung auf das Göttliche zu. Dadurch, dass ich diesen Zustand der Seligkeit in der Musik und im Tanz immer wieder erfahren durfte, wurde ich mir Schritt für Schritt meiner eigenen Göttlichkeit, meiner eigenen Spirit-Lehrerin bewusst.

Ich habe erfahren, dass es sehr wichtig ist, Traditionen kennenzulernen und sie zu bewahren, aber dass es dem ekstatischen Erleben abträglich ist, sich blind an starre Muster zu halten. Weiser ist es, die schöpferische Energie in Inneren zu finden und sie aus der eigenen Substanz heraus wachsen und aufblühen zu lassen.

Das Gleiche gilt für die traditionelle Kut-Zeremonie. Das Kut ist ein kraftvoller, direkter Reinigungsprozess, der unsere Ängste, Konflikte und Verwirrtheiten durchbricht. Mithilfe des ekstatischen Tanzes hilft die Schamanin den Teilnehmern, sich mit ihrem eigenen Freiheitsgefühl zu verbinden, damit sie genügend Energie generieren können, um ihre Hindernisse zu überwinden. Die Angst erfährt eine Transformation zur universellen Liebe, die im Überfluss vorhanden ist, – und plötzlich geht es im Leben um mehr als nur Leiden; es geht auch darum, einen Zustand der Verzückung zu erfahren.

Was man von Schamanen lernen kann, ist, dass es möglich ist, die Lebensenergie so zu erhöhen, dass sich das Tor zum Unbekannten öffnet. Dahinter erwartet uns die Erfahrung endloser Glückseligkeit. Die Reise der Ekstase verhilft dem menschlichen Geist und Verstand zu der Fähigkeit, einen höheren Seinszustand voller Freude zu erforschen, zu entdecken und zu erreichen. Und sie hilft uns dabei, die Kunst der göttlichen Energie zu verstehen.

 

Mina Otis Haft: Gibt es sonst noch etwas, was du über deine Arbeit und deine zukünftigen Pläne sagen möchtest?

 

Hiah Park: Meine Arbeit als Schamanin bewegt sich nicht in den Grenzen irgendeiner bestimmten Theologie, Kultur oder geschichtlichen Entwicklung. Seit meiner Initiation 1981 ist ein neues Fundament entstanden, das gleichzeitig einfach und tiefgründig ist, und das ich anderen verständlich machen konnte und kann. Ich arbeite auf der Ebene des Ur-Zustands, der im wesentlichen durch die ekstatische Trance erreicht wird. Mittels der Integration von Atem, Musik, Tanz und Theater bereite ich die Bühne für die Transformation der Zuschauer und der Gesellschaft.

 

Seit 1988 bin ich viel auf Reisen. Mein Plan für die Zukunft ist es, ein Zentrum der globalen Heilkünste zu schaffen, wo wir die Ressourcen unseres Lebens integrieren und sie uns voll und ganz ins Bewusstsein bringen können, sodass wir dazu in der Lage sind, uns zu verändern. Ich habe das Gefühl, dass es äußerst dringend ist, dass die Menschen erkennen, wie sehr wir von unserem eigenen Wesen abgespalten sind, und wie weit wir uns von unserer Wahrheit (Gott) entfernt haben. Es ist notwendig, dass wir die zerstörerischen unbewussten Verhaltensmuster

transformieren und stattdessen die simple Freude des Daseins umarmen. Mein bescheidenes Ziel als Frau und als Schamanin besteht darin, die Kultur durch die Anwendung spiritueller Intelligenz und einen kreativen Prozess weiterzuentwickeln. Ich glaube daran, dass Kunst und spirituelle Unterfangen, die sich auf ekstatische Erfahrungen gründen, zu unserem Verständnis vom Leben beitragen können.

 

SHAMANS DRUM | ©1992 |
Nina Otis Haft ist Autorin, Tänzerin und Kampfkünstlerin und wohnt in in Oakland, Kalifornien.

 

Übersetzung: Dr. Birgit Mayer, Wiesbaden